Wahlberichterstattung mit Live Blog

 

Tipps von Süleyman Artiisik, Produktmanager von dpa-live

Ein Interview von Gideon Lehmann  |  16 August 2017

Als Süleyman Artiisik mich im riesigen Newsroom der dpa in Berlin begrüßt und wir bei einer kurzen Führung jeden der 150 Meter des beeindruckenden Newsrooms abschreiten, bin ich überrascht: Von einem Mann der jede meiner Mails in unter zwei Minuten beantwortet hat und bei dessen Arbeit als Live-Redakteur es insbesondere um Tempo geht, hätte ich erwartet, dass er mich eher kurzatmig und ungeduldig, immer mit einem Blick auf seine unzähligen Twitterlisten, in Windeseile abfertigt. Das Gegenteil ist der Fall und in dem über einstündigen konzentriertem Gespräch lerne ich nicht nur, dass es bei seiner Arbeit nicht allein um Geschwindigkeit geht, sondern insbesondere auch um gute Vorbereitung.

Der Arbeitsplatz von Süleyman Artiisik – von hier aus werden News mit Live Blog im Minutentakt versendet.

Liveberichterstattungen gehören mittlerweile zum festen Produktportfolio der dpa. Seit wann nutzt die dpa das Werkzeug des Livebloggens für die Wahlberichterstattung?

Die dpa hat schon vor etlichen Jahren Liveticker für Kunden angeboten – damals noch als reine Textnachrichten – ohne Fotos, Grafiken, Bewegtbildmaterial und ohne Social-Media-Inhalte. Seit etwa drei Jahren nutzen wir jetzt professionelle Liveblogging-Software zu wichtigen terminierten und natürlich auch zu Ad-hoc-Ereignissen. Wahlen, sowohl auf Bundes- als auch Landesebene, gehörten von Anfang an dazu.

„Für mich gibt es kein anderes journalistisches Format, welches so schnell ist wie Liveblogging!”

Der Wahlkampf in Deutschland hat bereits begonnen und die Plakate der Parteien zieren das Straßenland. Nutzt die dpa das Format des Livebloggings auch im Vorfeld der Wahlen für eine Wahlkampf-Berichterstattung?

Ein Liveblog mit Fotos von “verschönerten Wahlkampfplakaten” wäre sicherlich eine schöne Idee. Spaß beiseite, nein, im Vorfeld der Wahlen nutzen wir das klassische Liveblogging nicht. In der Vorberichterstattung werden eher die klassischen journalistischen Formate von der dpa bedient. Aber bis zum Wahltag wollen wir mit einigen Politikern sogenannte „LiveChats“ durchführen. D.h., Kunden und ihre Leser können ihre Fragen mit einem bestimmten Hashtag über Twitter stellen. Unsere Redaktion sucht die interessantesten Fragen aus und der eingeladene Politiker tippt die Antworten selbst ein.

Zur Vorbereitung: Inwieweit werden schon jetzt im Vorfeld der Wahlen Zitate gesammelt, Plakate dokumentiert oder Kandidaten unter die Lupe genommen, um dies in die Liveberichterstattung einfließen zu lassen?

In der Regel etwa eine Woche vor dem jeweiligen Event – und so machen wir es auch zu den Wahlen. Es wird eine Art “Drehbuch“ gebrainstormt: Themenschwerpunkte werden benannt, potentielle Quellen recherchiert und eine Dramaturgie der Berichterstattung festgelegt. Von diesem Zeitpunkt an sammeln die beteiligten Redakteure Material für die Berichterstattung und speichern es als Entwurf direkt in Live Blog: Texte, Hintergründe, Bilder, Highlights aus Social-Media – alles was zu einem bestimmten Zeitpunkt in der Berichterstattung Verwendung finden könnte. Und natürlich themenrelevante Twitterlisten anlegen und verfolgen.

Welcher Tools bedient Ihr Euch intern für die Kommunikation und wo legt Ihr die bereits recherchierten Inhalte ab?

Alle relevanten Inhalte werden direkt in Live Blog als unveröffentlichte Beiträge gespeichert. Während der Liveberichterstattung sitzen wir mit am „Toptisch“ der Basisredaktion, so dass ein redaktionsübergreifender Austausch jederzeit gewährleistet ist.

“Liveblogging ist einer der Treiber redaktioneller Weiterentwicklung extern wie intern.“

Welches sind die Schwerpunkte Eurer Liveberichterstattung und welchen Stellenwert nimmt sie im gesamten Produktportfolio der dpa ein?

Der Schwerpunkt liegt auf schneller Faktenvermittlung und Social Media. Wir sind überall im Netz unterwegs – angefangen von Twitter bis hin zu Facebook, Instagram und YouTube – und recherchieren weitere interessante Quellen. Es soll uns nichts entgehen. Analysen, politische Einordnung finden eher anderswo statt. Und wer auch ElectionsLive der dpa nutzt, wird zudem mit interaktiven Live-Grafiken versorgt. Live spielt für unsere Kunden und damit auch für die dpa eine immer größere Rolle. Liveblogging ist einer der Treiber redaktioneller Weiterentwicklung extern wie intern.

Für welchen Zeitraum ist eine aktive Liveberichterstattung durch die dpa geplant?

Bei terminierten Events starten unsere Liveblogs in der Regel eine Stunde vor dem Ereignis und enden nach dem Event mit der Nachbetrachtung und einer Zusammenfassung der wichtigsten Fakten. Zu den Wahlen werden wir bereits mit Öffnung der Wahllokale unsere Liveberichterstattung beginnen.

Wie löst Ihr das Problem, später hinzukommenden Nutzern einen Überblick über die bisherigen Geschehnisse zu vermitteln?

Nicht nur für Spätkommer gilt die Regel “den Leser an die Hand nehmen”. Ich löse das so, dass ich immer wieder Posts einstreue wie „Falls Sie erst jetzt hinzugekommen sind: Folgendes hat sich bisher ereignet“ oder „Im Moment geht es Schlag auf Schlag, hier ein kurzer Überblick über die Ereignisse“. Live Blog bietet überdies die Möglichkeit Beiträge oberhalb der Timeline anzuheften “Pin Posts” oder als “Highlights” auszuzeichnen. Solche Posts können ebenfalls helfen, Späteinsteigern Orientierung zu geben.

Habt Ihr bei der Erstellung Eurer Liveblogs die Nutzung als “Second Screen” Angebot im Kopf und wie werdet Ihr dem gerecht?

Liveblogging ist für mich Fernsehen ohne Livebild. Was heißt das konkret? Wir bieten ebenfalls alles Wissenswerte rund um ein Ereignis – mit Fotos, Videos, Texten und gegebenenfalls auch mit übersichtlichen Grafiken. Das Tool Live Blog als Format ist eine ideale Ergänzung zu einer TV-Liveübertragung. Kommentare und Beiträge in den sozialen Medien beziehen sich oftmals auch auf die Fernsehbilder und werden diskutiert und kommentiert. Das aufzugreifen ist eine wichtige Facette des Livebloggings.

“Liveblogging ist für mich Fernsehen ohne Livebild.”

Was ist Deine Erfahrung mit einem Liveblog als Schnittstelle zum Publikum? Ist die Leserschaft tatsächlich mit einer Echtzeit-Berichterstattung enger eingebunden?

Fakt ist, die Lesedauer liegt bei einer Liveberichterstattung weit über der von klassischen Artikeln. dpa-live bindet selber keine Nutzerkommentare als Schnittstelle zum Leser ein. Das bleibt unseren Kunden vorbehalten, kann einen Liveblog aber sicherlich zusätzlich bereichern.

Was kann Liveblogging besser als andere journalistische Formate? Was kann Liveblogging nicht leisten?

Für mich gibt es kein anderes journalistisches Format, das so schnell ist wie Liveblogging! Die Sprache ist lebendiger und kürzer, maximal zwei kurze Absätze pro Beitrag. Und aus vielen kleinen Beiträgen, Social-Media-Inhalten und Multimedia-Schnipseln setzt sich sukzessive, über den Verlauf einer Reportage, ein Gesamtbild zusammen. Das hat eine eigene Dramaturgie und kann, wenn es gut gemacht ist, Redakteure und Leser gleichermaßen fesseln.

Dabei geht man beim Liveblogging insgesamt sicher weniger in die Tiefe – die intensive Auseinandersetzung mit einem Thema bleibt anderen Formaten vorbehalten. Wir liefern dafür das Fundament. Allerdings bieten wir auch “Long Liveblogs” an, wir nennen es Newsblogs, in denen wir Sachverhalte über einen längeren Zeitraum verfolgen und mit zahlreichen Querverweisen aus vielen Perspektiven heraus beleuchten – zuletzt zum Beispiel die Flüchtlingskrise in Europa.

Zum Thema Wahlergebnisse. Du hast bereits ElectionsLive von der dpa angesprochen, welches in die Liveberichterstattung eingebunden werden kann. Wie funktioniert das genau?

Unsere Live-Grafiken sind die ideale Ergänzung zum Liveblogdiese Echtzeit-Grafiken lassen sich sowohl oberhalb, als auch als Post im Liveblog selbst, mühelos mittels eines Embed-Codes einbinden. Erwähnenswert ist auch, dass Elections-Live vielfältige Widgets zum Einbetten auf Websites und mobilen Portalen anbietet.

Wie viele Redakteure arbeiten an dem Liveblog zur Bundestagswahl? Wie sind die Aufgaben der Redakteure im Team verteilt. Wie sieht der klassische Workflow aus?

Für die Bundestagswahl werden drei Redakteure im Newsroom im Einsatz sein. Unterstützung bekommen wir auch von den Außenreportern und Fotografen, die neben ihrer Hauptaufgabe für den dpa-Basisdienst, uns Beiträge mit der Live Blog Reporter-App von vor Ort – bei der Stimmabgabe der Spitzenkandidaten in ihren Wahlkreisen und auch auf den Wahlpartys der einzelnen Parteien – zukommen lassen.

Zum Workflow: Wir bestimmen einen verantwortlichen Redakteur, der die Publikation der Inhalte steuert; ein Kollege macht schwerpunktmäßig Socia-Media-Beobachtung und steuert zudem Beiträge aus unserem hauseigenen Dienst. Der dritte Kollege behält unseren Bildfunk im Auge und ist für zusätzliche Schreibaufgaben zuständig. All diese Beiträge werden zunächst zur Veröffentlichung in Live Blog eingereicht und erst dann vom verantwortlichen Redakteur publiziert. So werden unter anderem Doppelpostings vermieden. In Zweifelsfällen checkt unser „Verification Officer“ die Authentizität einiger Social-Media-Beiträge.

“Ein Liveblog von hinten nach vorne gelesen ist eine Art Multimedia-Reportage.”

Welche Rolle kommt der Technik bei der Bereitstellung und Publikation der Inhalte zu? Inwieweit beeinflusst das CMS ggf. die Berichterstattung?

Die Technik muss unsere Arbeit vereinfachen. Wie bereits erwähnt, viele unserer Kollegen haben z.B. die Live Blog Reporter-App auf ihrem Smartphone. Ziel ist es, dass weltweit alle dpa-Kollegen die App auf dem Handy installieren – vom Landesdienst-Reporter bis hin zum Bundes- oder Auslandskorrespondenten, um bei einem Ad-hoc-Ereignis schnell und unkompliziert Beiträge von vor Ort beisteuern zu können.

An dieser Stelle möchte ich auch erwähnen, dass unsere Kunden die dpa-Liveblogs entweder als 1:1 einbetten können. Oder sie bekommen die einzelnen Posts direkt in ein geeignetes Software Tool geliefert (z.B. Live Blog – Anmerkung der Redaktion). Für die Embeds unserer Liveblogs ist mir ein zurückhaltendes Design enorm wichtig. Es muss für alle Kunden gleichermaßen funktionieren und die Inhalte in den Mittelpunkt rücken.

Du hast es angesprochen. Live Blog ermöglicht die Syndizierung von Inhalten, also eine Direktanlieferung der Inhalte in das CMS des Kunden. Welche Vorteile siehst Du in dieser Form der Inhaltsübermittlung.

Wer dpa-Liveblogs einbettet, kann seinen Lesern ohne eigenen Aufwand spannende Live-Inhalte bieten. Die Syndizierung von Inhalten bietet unseren Kunden darüber hinaus die Möglichkeit, unsere Inhalte anzupassen oder eigene hinzuzufügen. Stichwort “regionale Relevanz”. Bei den Wahlen können so z.B. Abgeordnete des eigenen Wahlkreises näher beleuchtet werden.

Welche Tipps hast Du für News-Organisationen, die live über Wahlen berichten wollen?

Natürlich dpa-ElectionsLive und dpa-live nutzen – das Gesamtpaket der dpa für den Wahltag – damit verpasst der Leser nichts! Die Potentiale der Regionalisierung bei der eigenen Berichterstattung ausschöpfen. Außerdem alle Möglichkeiten der internen Bewerbung der Liveberichterstattung einsetzen, sei es durch Querverweise von verwandten Artikeln, spezielle Live-Teaser auf der Homepage oder über die eigenen Social-Media-Kanäle.

Zur Dramaturgie des Liveblogs: Einordnung. Erster Blick, das Drumherum. Die Atmosphäre. Ein Liveblog von hinten nach vorne gelesen ist eine Art Multimedia Reportage. Daher Beitrag auf Beitrag aufbauen. Die Spannung aufrecht erhalten. Storytelling. Dramaturgie steigern bis zur ersten Prognose. Den Leser bei der Stange halten.

Zuletzt noch Dein Tipp für den Ausgang der Wahl?

Ich glaube, die „Mutti“ macht´s.

Vielen Dank für das Gespräch.

Süleyman Artiisik ist geboren und aufgewachsen in Berlin mit Eltern türkisch-aserbaidschanischer Abstammung. Nach dem Studium der Politikwissenschaften am Otto-Suhr-Institut der Freien Universität Berlin folgt ein Volontariat an der Axel-Springer Journalistenschule. Anschließend arbeitet er als Online-Redakteur bei Bild.de. Seit 2010 ist er bei der Deutschen Presse-Agentur (dpa) – zunächst als Online-Redakteur bei der dpa-infocom (InfoLine). Seit 2014 leitet er als Produktmanager dpa-live.

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